Köln ist vielleicht nicht Deutschlands schönste, wohl aber Deutschlands glücklichste Stadt. Jaaanz sischer dat. Auch von wegen Köln sein Kölsch. Warum es bei Päffgen am besten schmeckt.
Und jetzt alleee In München steht ein Hofbräuhaus - oans, zwoa, nur leider schmeckt dort das Bier nicht. Rheinländern jedenfalls nicht (Japaner aus Düsseldorf ausgenommen). Kann es gar nicht! Denn wer nur ein einziges Mal in den Genuss einer frisch gezapften, zart beschlagenen, duftschaumgekrönten Stange Kölsch kam, der ist für lauwarme Literware aus trüben Humpen für immer verloren. Unseren bayerischen Freunden bietet sich nach dem erneut siegreichen Aufstiegskampf unseres heldenhaften 1. FC künftig bei Auswärtsspielen in Köln gottlob wieder die Gelegenheit zum Lokalvergleich - folgen Sie dabei unbedingt unserer Empfehlung: Hausbrauerei Päffgen, Friesenstraße 64-66.
Hinein durch die Schwingtüren, den Gang entlang, an der Schwemme vorbei, rechts in den großen Gastraum. Nehmen Sie Platz, verhalten Sie sich ruhig, Ihr erstes Bier kommt unaufgefordert - aus dem Hinterhaus. Dort, in vorindustriellen Verhältnissen: duftende Maische in blanken Kupferpfannen, eine zarte Malznote in der Luft, das Kölsch-Parfüm.
Wohl nirgendwo sonst im Schatten der Domtürme wird so traditionell, so handwerklich gebraut wie hier - das "Päffgen" ist eine veritable Legende. Besonders am späteren Vormittag, kurz nach der Öffnung, wenn die ersten Kenner in den stillen Stunden vor dem Mittagsgeschäft, in ihre Zeitung versunken, vereinzelt über den Saal verteilt, auf das erste Kölsch des Tages warten. Die farbigen Fenster zur Friesenstraße - bleiverglast wie in der Kirche, damit der sonntägliche Klimawechsel vom Hochamt ins heilige Brauhaus als übergangslos empfunden wird - halten jede Hektik draußen. Seit 1884 hat sich hier so gut wie nichts verändert.
Warum auch? Rudolf Päffgen, der 63-jährige Brauherr, zuckt mit den Schultern und nippt am Kaffee: "Dat is doch Tradition." Die quadratmetergroßen Ölschinken im Saal sind dunkel vom Teer der Millionen Stumpen und Kippen, die Tischplatten aus Eschenholz werden wie eh und je mit Ata und Schmierseife hinten im Hof schneeweiß gescheuert. Wenn der Chef von allerfeinster hochmoderner Technik spricht, meint er damit die endgültige Verbannung stoffumhüllter Stromkabel oder einen instand gesetzten Verteilerkasten. Bestenfalls homöopathisch werden Änderungen vorgenommen, Bierdeckel mittlerweile weggeworfen statt nachts auf der Heizung zur Wiederverwendung getrocknet.
Das ist Rudolf Päffgen. Eigentlich will er nicht, dass man über seinen Laden schreibt. Et kommen eh zu vill, sagt er. Aber stolz auf sein Bier ist er allemal© Matthias Jung
Köln ist die vergessenste Biermetropole dieser Welt. Bis heute hat keine Stadt der Erde mehr Braustätten in ihren Mauern - Ende des 19. Jahrhunderts waren es mehr als einhundert, heute sind es immerhin noch 13. Das Päffgen ist dabei die letzte Hausbrauerei, die als Familienbetrieb praktisch nur für den Eigenbedarf braut: 6000 Hektoliter jährlich, das gilt bei den Großen bestenfalls als Mitarbeiterkontingent.
Das Herz des Betriebes schlägt im Sudhaus hinter dem Biergarten. Bis in die 50er Jahre führte der einzige Anfahrtsweg ins Hinterhaus quer durchs Lokal. Noch heute kann man im Gang zwischen Zapfbock und "Aula" die kleinen Tischchen an die Wand klappen, wo früher Pferdefuhrwerke durch die Wirtschaft rumpelten. Mittlerweile kommen Hopfen und Malz durch ein Tor von der Rückseite. Wie auch der Treber-Buur mit dem Unimog mittags pünktlich um zwölf, um sich die Brauabfälle für seine Rinder abzuholen. Allerfeinster Päffgen-Treber für folglich allerfeinste Rinder! Auch sonst blieb in der Brauerei alles beim Alten: Rostige Eisenträger unter dem Holzdach, windschiefe Balken, abgestützt an Nachkriegsmauern aus Vorkriegssteinen, abgeblätterte Farbe und klapprige Holzverschläge. Der Asphaltboden, wellig wie ein junges Hundefell im Nacken und ständig pitschnass von Fassreinigung und Hochdruckdüsen - 50 Liter Wasser rechnete man früher auf einen Liter Bier.
Im Keller liegt der Schatz. Lebensgefährlich steile Stufen hinunter, an tropfenden Backsteinmauern vorbei durch kühle Gewölbe, in den gekachelten Gärraum. Hier arbeitet das Bier in offenen Wannen, schäumend setzt sich die Hefe an der Oberfläche ab - obergärig. Später wird es gefiltert, darf reifen, wird schließlich in gepichte Eichenfässer gefüllt.
Brautechnik wie vor 100 Jahren. Prahlen andere, in 42 Stunden aus Wasser Bier zu machen, ruft Rudolf Päffgen entschieden: "Dat schaffen mir in 42 Tagen noch nit!" Der Aufwand lohnt sich - nie sieht man mehr betrunkene Braumeister als am Ende ihrer Jahrestagung in der Friesenstraße. Das Päffgen ist würziger als andere Sorten, in der Farbe bernsteiniger. Perfekt im Hopfen, sagen Kenner, nicht zu dünn und immer ein ganz kleines bisschen anders, Handwerksbier eben. Ein Bierlabor analysiert zwar akribisch, kümmert sich aber nur um "dat Schemische". Für die Geschmacksanalyse braucht man nichts als die Stammgäste: "Rudolf, häste widder selbs jebraut? Dat Päd hät Zucker!" Kommt aber eher selten vor ...
Für den Kölner ist sein Bier Religion. Zur Ehrenrettung der eigenen Marke riskiert er selbst minutenlange Missstimmung am Stammtisch. Das Kölsch gehört genetisch zum Kölner wie der Dom, der Rhein und dreimol Alaaf - das glaubt er sogar selbst. Dabei spielte das Obergärige die ersten knapp zweitausend Jahre der stolzen Stadtgeschichte keine Rolle. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg wurde hier hauptsächlich Pils getrunken, erst in den Sechzigern begann die Blüte.
Mäht nix: Was in Köln zweimal passiert, ist Tradition, nach dem dritten Mal Brauchtum. Also wurde ordentlich nachgelegt, das Kölsch - zu Recht - aufs Altärchen gestellt. Seit 1986 gilt die Kölsch-Konvention. Von Kartellamt und EU als Wettbewerbsregel anerkannt, schreibt sie vor, wer wo wie Kölsch herstellen darf - das gibt es sonst bei Chianti, Champagner und Bordeaux. Nur in Köln und einigen namentlich festgelegten Brauereien im nahen Umland darf das helle, blanke, hochvergorene und hopfenbetonte Bier gebraut werden, Namenszusätze wie "Premium" sind verboten. Getrunken wird Kölsch zwischen sechs und acht Grad aus hohen, zylindrischen Stangen, hauptsächlich in der Kneipe, der Fassbieranteil ist mit 45 Prozent höher als irgendwo sonst. Und noch eines scheint als eiserne Regel zu gelten: Konzerne können kein Kölsch, Oetker geht gerade schwer baden. Man muss offenkundig vor Ort sein, die Besonderheiten des Marktes, die Kölner kennen.
Dazu gehört auch zu verstehen, wie der geübte Kölner trinkt: in lockerem Gleichmaß, dem Rhythmus des Köbes angepasst. Der stellt - Bleistift hinterm Ohr, blaues Hemd, blauleinene Schürze und lederne Geldtasche, Bierkranz aus Zinkblech in der Hand - eine Stange nach der anderen hin. Gut, dass die "Rundschau für den Lebensmittelhandel" in ihren "After-work-tips" für die "Nightlife-Session" nach einem "anstrengenden Messetag" ihre verblüfften Leser vorwarnt: "Da kann es schon mal vorkommen, dass der "Köbbes" (sic!) einem ein frisches Kölsch serviert, das man gar nicht bestellt hat" - nä, wat et nit alles jibt! Dabei tut Aufklärung weiß Gott Not. Kölschtrinken muss man lernen, "suffe spille" sagt man am Rhein, wenn es grad so schön läuft. Dat is doch nix, dat kleine Gläschen - "haha, da lach i ja", kichert der dicke Bayer, und bums, kaum zwei Stunden später liegt er ziemlich waagerecht.
Wasser zum Ausgleich kommt nicht infrage, zum einen aus geschmacklichen Gründen, zum anderen wegen des Preises: Bei Päffgen kostet das Glas mit Einsfuffzich stramme 20 Cent mehr als die Stange Gold. Nur der deutschen Freude an Vorschriften geschuldet ist der Umstand, dass selbst hier mindestens ein alkoholfreies Getränk günstiger ist als Bier. Korn kommt zwar nur 1,20, gilt aber leider nicht. Deshalb bietet die Hausbrauerei unter der Bonnummer 555 das Glas frische Milch an - unternehmen Sie gern den Versuch einer Bestellung. Sie werden erstaunt sein, wozu der rheinische Frohsinn befähigt. Die Päffgen-Köbesse werden Sie als Touristen einstufen. Sie können sich viel ersparen, wenn Sie umgehend das Lokal verlassen.
Überhaupt die Köbesse. Für Franz Mathar, den Kölsch-Papst, sind sie das Geschenk Gottes an die kölschen Brauhäuser. Herrscht in den Touristenfallen am Dom und in der Altstadt beständiger Wechsel, gehören Päffgens Männer in Blau noch wie früher zum Inventar. Manche sind Jahrzehnte an Bord. Rekordhalter Willi Weil, genannt Stresemann, wurde nach einem halben Jahrhundert im Dienst als kaiserwürdiges Ölgemälde im Saal verewigt. Zwei Tunesier sind heute dabei, einer aus der ehemaligen Zone und auch sonst mancher Zugereiste. Egal, Kölner kann man werden, und zur Familie gehören sie alle - "Sie" Arschloch hat der Chef noch zu keinem gesagt. Früher haben die Köbesse mit im Haus gewohnt und tagsüber in der Brauerei gearbeitet. Nach dem Krieg haben sie erst die Vorderwand von der Friesenstraße gekratzt und später dann die ersten Bierbestellungen mit dem Fahrrad quer durch die Stadt gekarrt.
Heute kommen die Fässer mit der Sackkarre halbstündlich quer durchs Lokal gerollt, werden auf dem Zapfbock neben dem Eingang schräg aufgestellt und mit kräftigen Hieben angeschlagen. Sitzt der Hahn mal zu locker, schwimmt die Schwemme, und das Bier läuft auf die Friesenstraße. Läuft alles nach Plan und der Köbes bleibt trocken, zapft er seine Bestellung - jeder für sich - und marschiert mit seinen Bons am Beichtstuhl vorbei. Das ist die zentrale Kassenstelle.
Darin sitzt Frau Klütsch, zigarillorauchend, mit freiem Blick auf Fässer und Schwingtüre. Bedarfsweise kann sie sehr gut verstecken, dass sie eigentlich ziemlich freundlich ist. 190 Stangen müssen aus dem 38er Fass kommen; sind es nur 184, verdüstert sich ihre Stimmung bedrohlich. Die Köbesse begegnen ihr ähnlich gedämpft wie kluge Gäste den Köbessen. Vor Frau Klütsch steht ein vorsteinzeitliches Bakelittelefon mit Wählscheibe und rappelt alle fünf Minuten, auf dass Frau Klütsch ziemlich hochdeutsch verkünden kann: "Nein, heute leider nicht mehr, da müssten Sie schon vorbeikommen und schauen, ob was frei wird."
Manchmal gibt es einen "Nachtwächter", dann ist das letzte Fass nicht ausgetrunken und muss für die Bierhaxe herhalten. Das ärgert Frau Klütsch dann gewaltig, schließlich entscheidet ja sie, wann das nächste Fass angeschlagen wird, wann das letzte und in welcher Größe, und nach 20 Jahren kennt man doch den Durst der Gäste, und außerdem: Viel zu schade, das gute Bier!
Aushäusig gibt es Päffgen in Fässern zum Mitnehmen, Pittermännchen genannt. Morgens wird abgefüllt und mittags verkauft, niemals in Flaschen. Höchstens ein Siphon wird mal voll gemacht, gespülte Milchflaschen selbstverständlich nie - bewahre! Hinten, im zweiten Hinterhof, sitzt dann der Braumeister Wißkirche in seinem voll geramschten Verschlag, einsfünfzig auf einsfünfzig, mit Schreibtisch und Ablage, und teilt von sieben bis drei Uhr Bier zu. Natürlich bekommt nicht jeder den edlen Stoff ausgehändigt, zum Ausschank schon mal grad gar nicht. Nur zwei oder drei Kneipen in Köln können sich rühmen, Päffgen führen zu dürfen.
Rudolfs Bruder Max mit seinem Lokal in der Altstadt gehört nicht mehr dazu. Da hat es mal ziemlichen Knatsch gegeben, Gerichtsverfahren und Gemunkel von "medizinisch" schmeckendem Bier und von Familiengeheimnissen, die ausgepackt werden könnten, wenn der alten Frau Päffgen auf dem Sterbebett nicht in die Hand versprochen worden wäre Die Lokalpresse war jedenfalls wochenlang begeistert über die Fehde in der Brauerdynastie, man spricht bis heute nicht miteinander. Genaueres weiß wie immer keiner so genau, wie das in Köln nun mal ist: Die, die jet wisse, sagen nix. Un die, die jet sage, wissen nix.
Nur eines hat der Bruderkrieg deutlich gezeigt - es wird Zeit, dass sich Rudolf Päffgen endlich offen zum schrecklichen Geheimnis seiner Vergangenheit bekennt, damit die Erpressung nicht auf ewig wie ein Damoklesschwert über seinem gesegneten Brauhaus schwebt. Also durchatmen und eingestehen: Ja, er hat zehn Jahre das Altbierdorado "Uerige" in der Düsseldorfer Altstadt geleitet! Jetz is et raus - Kölner verzeihen.
Christoph Wirths
Zu Artikel bei Stern.de
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